Menschen mit Meer – Interview mit Autorin Alex Hofmann

Es ist fast neun Uhr abends, als es an der Tür klingelt und Alex Hofmann grinsend bei mir auf der Matte steht. Die Autorin von Menschen mit Meer, ein Buch über Menschen mit Autismus das 2013 im Verlag Kleine Wege erschienen ist, umarmt mich kurz, macht es sich auf dem Sofa bequem – und holt als allererstes eine große Thermoskanne aus der Tasche.

“Ich hatte voll vergessen, dass ich frischen Tee aufgesetzt hatte und den wollte ich nicht wegschütten,” erklärt sie, während ich Tassen hole und sie noch etwas aus der Tasche hervorzieht.

“In der Dose sind unter anderem selbstgebackene Weihnachtsplätzchen. Greif zu!”

Wir plaudern, über dies und jenes; über das Weltall und Psychologie, Autismus und Menschen mit Meer und unser Interview findet fast nebenbei statt.

Die Idee für ihr Buch hatte Alex eher zufällig, als sie nach einer abgesagten Uni-Party frustiert zuhause saß. “Ich hatte einfach eine Eingebung, und habe dann einfach so ein fünfseitiges Exposé geschrieben,” erklärt sie. Viel hatte sie sich zu dem Zeitpunkt noch nicht dabei gedacht. Erst am nächsten Morgen, als sie sich das Exposé noch einmal in Ruhe durchlas, merkte sie, was sie da in den Fingern hielt.

“Ich dachte das ist ein Wink des Schicksals. Dann habe ich das Dokument noch kurz überarbeitet und sofort an den Verlag geschickt,” erklärt sie. Das alles geschah auf gut Glück. Schon drei Wochen später erhielt Alex einen Anruf. “Da war der Verleger dran, der das Exposé gelesen hatte und mehr wissen wollte. Die wollten mich unbedingt persönlich kennen lernen und ich habe sofort zugesagt.” Alex lacht. “Vielleicht hätte ich nur vorher mal auf der Karte gucken sollen, wo genau die sich befinden, bevor ich einen Termin annehme.”

Sie hat es trotzdem zum Verlag Kleine Wege nach Nordhausen geschafft. “Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch gar kein richtiges Konzept, aber alle waren sehr beeindruckt.” Alex hatte einen Vertrag in der Tasche ohne eine Seite ihres Buches geschrieben zu haben.

“Zu dem Zeitpunkt hatte ich nur eine grobe Idee und wusste noch nicht, was genau hinterher dabei rauskommen sollte,” sagt sie. Sich noch nicht festlegen zu müssen war ihr wichtig.

Der Verlag Kleine Wege ist bekannt für die Förderung autistischer Menschen. Alex’s Buch, in dem sie über 13 Menschen auf dem autistischen Spektrum berichtet, ist dort also bestens aufgehoben. “Bekannte von mir haben auch bei Kleine Wege veröffentlicht. Der Verlag mag vielleicht klein sein, dafür ist er aber wenn es um Autismus geht bekannt. Ich bin echt froh, dass das so gut geklappt hat.”

In Menschen mit Meer beschreibt Alex ihre Begegnungen mit 13 autistischen Menschen aus Deutschland und Österreich. Um diese 13 Leute zu finden, hat Alex in Foren und Verteilern von Autismus-Verbänden eine Beschreibung ihres Projekts gepostet, aber auch fünf Leute selber angesprochen. “Über 40 Menschen haben sich bei mir gemeldet, das war echt spannend. Sie alle haben dann von mir einen kurzen Fragebogen zu ihrem Profil bekommen, damit ich mir ein Bild von diesen Menschen machen konnte.” In ihrem Buch sagt sie, dass sie Menschen mit Autismus gesucht hat. Doch gefunden hat sie Menschen. Denn “das Leben ist wie das Meer, keine Welle gleicht einer anderen.”

Einige antworteten, einige nicht, und am Ende hatte Alex 13 Menschen gefunden, die mitmachen wollten und fast ein Jahr lang mit ihr hin und herkommunizierten.

“Für mich ist es ganz wichtig, vor allem bei Autisten, dass man weiß mit wem man es zu tun hat.” Alex erklärt mir, dass sie alle 13 getroffen hat; quer durch Deutschland und Österreich gereist ist um Zeit mit ihnen zu verbringen. “Da ich vorher schon ihr Profil kannte konnte ich mich dann auf den Menschen konzentrieren. Die Mimik, Gestik. Ich konnte beobachten, und habe bewusst nicht mitgeschrieben, um sie nicht zu verwirren.”

So zum Beispiel bei Sepia, den sie in Salzburg besucht hatte. “In den Foren hat er nur mit Ja und Nein geantwortet und ich kannte nur seinen groben Steckbrief. Ich dachte er sei nicht mehr im Projekt interessiert. Doch dann fing er von selber an zu drängeln. Fragte ‘Wann kommst du?’,” schildert Alex. Also fuhr sie nach Österreich, denn sie hatte ja nichts zu verlieren. “Wir haben nicht viel geredet, doch dafür konnte ich bei ihm umso mehr wahrnehmen.”

Autorin Alex Hofmann mit ihrem Buch Menschen mit Meer. Photo: Cornelia Kaufmann
Autorin Alex Hofmann mit ihrem Buch Menschen mit Meer. Photo: Cornelia Kaufmann

Geschrieben hat Alex Hofmann ihr Buch in China. Dort hat sie 2011  studiert und zwei Monate lang bei der Organisation Stars & Rain in Peking gearbeitet, die als einzige im ganzen Land autistische Kinder betreut.

“Das Format für das Buch war mir von Anfang an klar. Ich wollte jedem Menschen sein Kapitel widmen,” sagt Alex. Dabei lässt sie ihre Beschreibungen völlig unangetastet von Diagnose und Kritik. “Das war mir sehr wichtig. Ich gebe keine Bewertung ab, das wäre nicht gerecht. Ich denke immer: ‘Wer bin ich, dass ich andere bewerte und beurteile?'”

Ob Asperger Syndrom, frühkindlicher oder atypischer Autismus – ob und wo ein Mensch auf dem Autistischen Spektrum liegt ist Alex völlig egal, zumal jeder Fall unterschiedlich ist. “Ich kann nur sagen wie ich jemanden wahrnehme, nicht wie er ist. Schließlich bin ich kein Psychiater und stelle keine Diagnosen. Ich sehe nur den Menschen, egal was in seiner Akte steht.”

Eine von Alex besuchte Person hatte sich selbst im Steckbrief als sehr schüchtern, ruhig und introvertiert dargestellt. “Als ich dort ankam und sie traf, redete sie wie ein Wasserfall. Sie war so herzlich, nett und offen, dass ich zuhause den Steckbrief nochmal durchgelesen habe, zum Vergleich. Da merkte man richtig den Unterschied zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung.”

Bevor Menschen mit Meer veröffentlicht wurde, hat Alex jedem der 13 Menschen sein eigenes Kapitel zum Lesen geschickt. “Nur hier und da wurde ich gebeten einen Namen wegzulassen oder etwas was ich falsch verstanden hatte abzuändern. Sonst kam nur gutes Feedback, worauf ich sehr stolz bin.” Auch der Verlag ließ Menschen mit Meer fast unangetastet. “Ich bin dankbar, dass ich mich noch mit meinem Projekt identifizieren kann!”

Die mitgebrachte Teekanne ist mittlerweile leer. Während ich eine neue Kanne Tee aufsetze, erzählt mir Alex von ihrer Schreibwerkstatt, denn das Schreiben und das Thema Autismus sind für Alex Hofmann wichtig.

Vor über zwei Jahren hat sie die Schreibwerkstatt Der rote Faden ins Leben gerufen, die sich unter anderem in Solingen und Düsseldorf trifft. Vorrang haben autistische Interessenten, aber grundsätzlich ist bei Alex jeder willkommen.

“Wir reden gar nicht über Diagnosen. Beim Schreiben merkt man, dass alle sozialen Unterschiede auf einmal weg sind. Es gibt nur noch Texte. Jeder ist kreativ.”

Menschen mit MeerMenschen mit Meer
Autorin: Alex Hofmann
Verlag: Kleine Wege

€ 14,90

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